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Aus Geschichte und Tradition wächst ein Ort der Zukunft

Ein beeindruckender Raum öffnet sich dem Reisenden, wenn er in den Ortsmittelpunkt des Marktes Gangkofen einfährt. Die weiträumige Platzanlage eines südostbayerischen Straßenmarktes des Innenstadtsystems lässt unmittelbar erahnen, dass dieser Ort zu den alten Märkten des bayerischen Unterlandes zu zählen ist.


Aus einer alten Urkunde vom St.-Georgs-Tag des Jahres 1280, zu finden im so genannten “Gangkofener Diplomatar”, einem Urkundenkopialbuch der Deutschordenskommende Gangkofen, wird in dem Begriff “und der eltesten mer von dem marckt” deutlich, dass Gangkofen wohl in die Marktgründungen um das Jahr 1250 einzureihen ist.


Alte Pergamenturkunden künden von steter Bewahrung der Markttraditionen und -rechte. Noch immer finden während des Jahres neben dem Wochenmarkt auch weitere fünf Jahrmärkte statt. Freilich lebt der Gangkofener heute nicht von diesem Marktgeschehen. Doch in den zurückliegenden Jahrhunderten war dies eine bevorrechtigte Einrichtung zum Austausch von Waren weit über die Grenzen Gangkofens hinaus. Ein besonderer Begriff waren die Garn- und Flachsmärkte des 18. und angehenden 19. Jahrhunderts.


Der seit dem Jahr 1385 aus der Hand der Grafen von Ortenburg an das Haus Wittelsbach gekommene Markt war einer wechselvollen Geschichte ausgesetzt. Das Glück des städtischen Reichtums bedeutender Handelsplätze erlebten die Gangkofener des Mittelalters und der angehenden Neuzeit nie. Was nicht durch Seuchenzüge vor allem des 14. und 17. Jahrhunderts ein elendes Ende fand, wurde durch die großen Brandkatastrophen der Jahre 1599 und 1666 und die kriegerischen Handlungen insbesondere des Dreißigjährigen Krieges zerstört. Von diesen Ereignissen erholten sich die Bürger, zumeist kleine Handwerker mit Einkommensverhältnissen nahe am Existenzminimum, nur langsam. Blieb ihnen doch auf Grund der zahlreichen grundherrlichen Sitze und deren Ansprüche an die Abgabenpflichtigen nur wenig, was einer Weiterentwicklung hätte dienen können. Dennoch ist es dem relativen Wohlstand des 18. Jahrhunderts zu danken, dass der Markt nach seiner völligen Vernichtung im Jahr 1666 doch zu einer ansehnlichen Stadtgestalt gelangen konnte. Gerade eben 320 Einwohner zählte man in den Jahren um 1770, davon 90 Kinder und Jugendliche sowie 75 “Dienstmenschen”. Überdies wohnten im Ort 29 Almosenempfänger, die außerhalb der offiziellen Statistik erwähnt werden.


Das Erwerbsleben besaß eine weite Bandbreite, insbesondere im Handwerk. Man zählte immerhin sechs Bierbrauer, vier Bäcker, fünf Metzger, vier Baumwollhändler, fünf Schneider, drei Weber, zwei Tuchmacher, zwei Färber, fünf Schuster, einen Lederer und einen Kürschner, zwei Seiler, zwei Sattler, drei Schreiner, zwei Drechsler, fünf Zimmermannsleute, einen Maurermeister, Schlosser, Glaser und Kupferschmied, drei Schmiede und einen Nagelschmied, drei Hafner, drei Binder, zwei Fischer, einen Gärtner, zwei Bader und sogar einen Arzt sowie eine Hebamme. Doch alle hätten sie nicht überleben können, hätten sie nicht neben dem Einkommen aus dem Gewerbe auch einen Erwerb aus der Landwirtschaft und damit eine direkte Möglichkeit zum Erwerb von Lebensmitteln besessen.

Bemerkenswert unter den Gemeinschaftseinrichtungen zur Versorgung der Bürger war sicher neben dem 1494 im ehemaligen Markttorturm am Platzsüdende eingerichteten Rats- und Tanzsaal und den am Tor ein- und angebauten Fleischbänken zur Versorgung der Bürgschaft auch eine Schule seit etwa Mitte des 16. Jahrhunderts.


Auch wenn der Markt an wichtigen Straßenzügen gelegen war, wie etwa an der Salzstraße von Reichenhall über Ötting, Gangkofen, Dingolfing und Geiselhöring nach Regensburg, so ergab sich in all den Jahrhunderten seit dem Mittelalter keine nennenswerte Fortentwicklung des Ortes. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts dehnte sich die Ortslage praktisch nicht aus. Eine Entwicklung des Marktes nahm eigentlich erst mit den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Lauf. Gangkofen war abgesehen von den schmerzlichen Verlusten an Menschen, die auf den Kriegsschauplätzen zurückblieben, von materiellen Schäden verschont geblieben. Für einige Jahre wuchs auch hier wie in vielen Orten Bayerns infolge der Flüchtlingsbewegung die Bevölkerung um mehr als die Hälfte an. Viele Leute blieben und sind mit den Ureinwohnern zu einer neuen und festen Ortsgemeinschaft zusammengewachsen.


Traditionsbewusstsein und das Streben nach einer den Herausforderungen der Zukunft entsprechenden Entwicklung kennzeichnen das Geschehen in der heutigen Marktgemeinde Gangkofen in ihrer aus der kommunalen Gebietsreform 1972 und 1978 neu entstandenen Fläche von 109 Quadratkilometern mit nun insgesamt 6850 Einwohnern. Weil mit gezielten Maßnahmen die infrastrukturellen Rahmenbedingungen geschaffen werden, weist der Markt in der jüngeren Vergangenheit Zuwächse an betrieblichen und privaten Investitionen sowie an Einwohnern auf.


Neben den existenziellen Maßnahmen im Bereich Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung der ländlichen Räume hat der Markt sein Erscheinungsbild im Rahmen einer Sanierung des historischen Ortskerns vorteilhaft gewandelt. Die bauliche Entwicklung und das entstehende Gewerbegebiet an der Bundesstraße 388 stärken die Zuversicht der Gangkofener in ihre eigene Zukunft.


Und nun besteht die Marktgemeinde nicht nur aus dem Hauptort Gangkofen, sondern aus insgesamt 177 verstreut im ganzen Hoheitsgebiet liegenden, amtlich benannten Gemeindeteilen, deren Existenz sich in den allermeisten Einzelfällen dieser Einöden und Weiler anhand urkundlicher Nachweise für das ausgehende 13. und angehende 14. Jahrhundert belegen lässt. Die Dörfer Angerbach, Radlkofen, Obertrennbach, Reicheneibach, Panzing und Malling treten dabei schon ab dem 13. Jahrhundert als kleine Ministerialensitze in Erscheinung und prägen auf Grund dieser gehobenen grundherrlichen Stellung zumeist das nähere Umfeld dieser Dorfgebiete. Diesen durchwegs landwirtschaftlich strukturierten Dörfern stellt sich in diesen Tagen die Aufgabe, zusammen mit ihrer Gemeinde im Rahmen von Dorferneuerungsverfahren den eigenen Standpunkt zu finden und sich im Rahmen auch der baulichen Veränderungen innerhalb der einer Stadtsanierung adäquaten Dorfentwicklung im Sinne einer Leitidee für das weitere Werden eine gesicherte Zukunft zu schaffen; denn die Dörfer werden weiter ihr Gesicht verändern, so wie sich die vormals ausschließliche Erwerbsquelle Landwirtschaft auch in diesem Teil Niederbayerns entscheidend gewandelt hat und weiter fortentwickelt. Nach außen hin entstanden neugestaltete Ortsmittelpunkte wie in Obertrennbach, Angerbach, Reicheneibach, Radlkofen und nun in Hölsbrunn. Sie unterstreichen den Dorfraum, versuchen das erhaltenswerte Vorhandene in einen neu überlegten ästhetischen Rahmen einzubetten, der dennoch den alltäglichen Zweckmäßigkeitsanforderungen unserer Tage genügen muss.


Was Markt und Umland verbindet, das ist die seit Jahrhunderten gewachsene Zusammengehörigkeit, die jeder spürt und die sich im gesellschaftlichen Leben ausdrückt. Denn was wäre ein niederbayerischer Marktflecken und seine Dörfer ohne das gesellschaftliche Leben, das sich in über 70 Vereinigungen im ganzen Gebiet gestaltet. Sie sind Motor der vielfältigen Veranstaltungen in der Marktgemeinde im ganzen Jahreskreislauf, angefahren vom Volksfest über die zahlreichen sportlichen und kulturellen Veranstaltungen.


MarienbrunnenStelen zum Thema Begegnung


Gangkofen versteht sich heute als Ort mit einem ansprechenden Erscheinungsbild, offen auch bis hin zu neuer Kunst, ob nun der Marienbrunnen und St. Nepomuk des weltbekannten Bildhauers Professor Fritz König oder die Stelen zum Thema “Begegnung” des gebürtigen Reicheneibacher Bildhauers Willi Baumeister mitten auf der Marktplatzinsel anzusprechen sind. Stadtgestalt und ländliches Umfeld der niederbayerischen Kulturlandschaft verschmelzen zu einem Ganzen, laden ein zum Verweilen, zum Leben und Arbeiten, zur Gestaltung der Freizeit. Hier öffnet sich ein weites Feld in kulturellen Kleinoden wie den zahlreichen Sakralbauten, etwa der spätromanischen Kirche St. Nikola mit den überregional bedeutsamen romanischen.


Grossansicht in neuem Fenster: Loretto-WallfahrtskircheSt. Nikola


Die Deutschordenskommende Gangkofen und das ehemalige Augustinereremitenkloster Seemannshausen

Eine Besonderheit unter den niederbayerischen Orten findet man in Gangkofen mit der im Jahr 1278/79 von Graf Wernhard II. von Leonberg gegründeten Kommende des Deutschen Ordens, der südlichsten Niederlassung dieses geistlichen Ritterordens nördlich der Alpen. Das Herrschaftsgefüge im Markt und im weiten ländlichen Umfeld wurde entscheidend durch dieses Ordenshaus mitgeprägt, das nach außen hin wie die Klöster durch grundherrliche Hoheit auf Grund zahlreicher Güterstiftungen in Erscheinung trat, verwaltet durch einen Vorsteher der Kommende aus dem Ritterstand, den Komtur, und im pfarrlichen Leben durch die dem Ordenshaus zugeteilten Ordensgeistlichen.


Grossansicht in neuem Fenster: Kommende im Jahr 1723Grossansicht in neuem Fenster: Kommendehof heute


Der Überlieferung nach kam es zur Ansiedlung dieses Ritterordens in Gangkofen auf Grund der Teilnahme Wernhards II. an einem Kreuzzug und der dabei offensichtlich mit dem an sich in Preußen und Litauen ansässigen Deutschen Orden an dessen Gründungsstätte in Akkon in Palästina geknüpften Verbindung. Bis weit in das Rottal und an den Gäuboden hin reichten die Güter, welche dem Ordenshaus vor allem im 13. und 14. Jahrhundert gestiftet wurden. Die Kommende Gangkofen liegt räumlich sehr dicht am Marktkern. Sie wurde 1599 durch einen verheerenden Brand zusammen mit dem halben Marktflecken vernichtet, während eines weiteren Schadensereignisses im Jahr 1666, dem der ganze Markt vollkommen zum Opfer fiel, nur angegriffen. So zeigt sich dem Betrachter heute eine weite bauliche Anlage des angehenden 17. Jahrhunderts, vereint mit der Pfarrkirche “St. Mariä Himmelfahrt”, erbaut nach den Plänen des Deutschordensbaumeisters Franz Keller der vorstehenden Landkomturei Ellingen in Franken. Gerade dieser gestalterische Einfluss und die durchaus eigene architektonische Note des Ordens ließ einen Kirchenraum entstehen, der von Anlage und Gestaltung her gesehen nicht vergleichbar ist mit den Kirchenbauten der weiteren Umgebung. Mit zum Ordenshaus und unter sein geistliches Patronat gehörten zahlreiche kleinere Pfarr- beziehungsweie Filialkirchlein, auch die ehemalige Wallfahrtskirche “St. Salvator” zu Heiligenstadt vor den Toren Gangkofens, erstmals urkundlich erwähnt im Jahr 1279 als “capella nova” und seit etwa 1830 auch Friedhofskirche. Dieser Kirchenraum birgt im Chor eine der bedeutendsten gotischen Schöpfungen des südostbayerischen Raumes, einen gotischen Schreinaltar mit dem Entstehungsjahr 1480, gestiftet von dem Deutschordenskomtur Perchtold von Sachsenheim.


Grossansicht in neuem Fenster: St. Salvator zu HeiligenstadtGrossansicht in neuem Fenster: Pfarrkirche St. Mariä Himmelfahrt



Ungefähr zwei Kilometer nördlich Gangkofens entstand im Jahr 1255 ein anderes geistliches Zentrum, ein Kloster der Wilhelmiten, gegründet von dem Regensburger Erzdiakon Henricus Seman von Mangern. Im Rahmen der in dieser Gründungszeit von Rom aus betriebenen Union der Eremitenkongregationen wurde das Kloster letztlich, im Jahr 1267 urkundlich bekräftigt, in einen Konvent der Augustinereremiten umgewandelt. Dieser Konvent wurde in den nachfolgenden zwei Jahrhunderten mit weitreichenden Gütern ausgestattet und erhielt zudem zahlreiche Privilegien durch Herzöge und Kaiser. Der aus dem vormaligen Schloss Pöllnkofen entstandene Klosterbau wurde vor allem im 15. und 17. Jahrhundert mehrfach umgebaut, wich jedoch in den Jahren 1712 bis 1715 einem von Prior Angelus Höggmair betriebenen grundlegenden Neubau der gesamten Anlage. Mit der Säkularisation wurde das Augustinereremitenkloster Seemannshausen im Jahr 1803 endgültig aufgelöst, die Deutschordenskommende Gangkofen in den Jahren 1805/06. Während die Kommende Gangkofen durch ihre zentrale und unmittelbare Lage an der weiterhin bestehenden Pfarrkirche fast vollkommen erhalten wurde, gingen die ganz wesentlichen baulichen Teile des Klosters Seemannshausen nach der Versteigerung für immer verloren, mit ihnen aber auch wertvollste Ausstattungstücke der Kirche, über deren Inneres alle Informationen gänzlich verloren sind. Heute steht in Seemannshausen noch der West- und Nordflügel des Klostergebäudes. Er beherbergt nun seit über 150 Jahren eine private Brauerei, ganz im Zeichen der vorher gepflegten klösterlichen Braukunst. Nach eigenen Rezepten wird hier neben den handelsüblichen Biersorten auch ein trübes Bier hoher Stammwürze hergestellt, das wie die ansprechende bauliche Anlage mit dem gemütlichen Biergarten jährlich viele Besucher anlockt.


Grossansicht in neuem Fenster: Klosterbrauerei Seemannshausen